Hallesche OP-Wochen 8.0: Wenn die „Schwiegermutter“ mitoperiert

Zu sehen sind Operateure in grüner OP-Kleidung und mit FFP-2-Masken. Ein Mann im Vordergrund hält ein Operationsinstrument in die Kamera. Die Operationsumgebung ist auf zwei Leinwänden im Hörsaal zu sehen.

Das besondere der OP-Wochen ist die Live-Übertragung, die auch eine direkte Interaktion zwischen Hörsaal und Operationssaal ermöglicht. Gezeigt werden Standard-Operationen, die Patientinnen und Patienten haben explizit zur Übertragung eingewilligt.

„Wir wollen Sie begeistern“, sagte Prof. Dr. Stefan Plontke als er die Studierenden in den Hörsälen des Lehrgebäudes am Universitätsklinikum Halle begrüßte. Diesen Donnerstag (2. Dezember) fand die letzte Veranstaltung der diesjährigen, bereits 8. Auflage der „OP-Wochen“ statt, bei denen gängige Standardoperationen live aus dem OP gezeigt werden. Pandemiebedingt diesmal nur an vier statt an acht Tagen und mit strengeren Zugangsvoraussetzungen. „Aber es lief alles sehr diszipliniert ab. Der Fachschaftsrat Medizin hat das eigenverantwortlich sehr gut gelöst und Anmeldungen wie Nachweise gemanagt“, lobte Plontke. Statt sonst brechend voller Hörsäle waren diesmal maximal 120 Studierende zugelassen.

Am vergangenen Donnerstag stand nach einer Knie-Operation mit Endoprothese am Montag, einer Augenhornhaut-Transplantation per Laser am Dienstag und einer laparoskopischen Speiseröhren-Operation am Mittwoch die Fixierung einer Wanderniere unter dem Einsatz des OP-Robotersystems „da Vinci“ auf dem OP-Programm. Zunächst stellte Funktionsoberarzt Dr. Felix Lindner von der Universitätsklinik und Poliklinik für Urologie der Universitätsmedizin Halle den Anwesenden die wichtigsten Informationen zur Patientin, dem Diagnoseweg und den Operationsvorgang vor.

Operiert wurde eine 41 Jahre alte Patientin, bei der die Diagnostik als Ursache ihrer Schmerzen eine sogenannte Wanderniere feststellte. Bei bestimmten Körperhaltungen bzw. -bewegungen senkt sich das Organ ab und drückt dann auf den Harnleiter. Harnstau und Nierenbeckenentzündungen, die mit starken Schmerzen einhergehen, können die Folge sein. Auch eine verminderte Leistungsfähigkeit der Niere kann damit einhergehen – so wie bei der Patientin in Halle. „Sehr schlanke Menschen sind von solch einer Diagnose häufiger betroffen, weil das die Niere sonst umgebende Fettgewebe fehlt. Bei der Operation wird die Niere nun an ihrer eigentlichen Position fixiert, so dass sie nicht mehr absinken kann“, erläutert Lindner den anwesenden Studierenden in den Hörsälen. Die Operation müsse aufgrund der Schlankheit zudem sehr vorsichtig erfolgen. Nach den einleitenden Worten wird in den Operationssaal geschaltet, denn das ist das Einzigartige an den „Halleschen OP-Wochen“: Die Operation findet genau dann statt, die Studierenden können jeden Handgriff verfolgen, die an diesem Donnerstag der operierende Oberarzt Dr. Felix Kawan zudem direkt erklärt.

Das Besondere bei dieser OP ist, dass Kawan – anders als sein Team – nicht selbst am OP-Tisch steht, sondern an der Bedienkonsole des OP-Roboters „da Vinci“ sitzt, der an der Universitätsmedizin Halle seit 2014 im Einsatz ist. Dessen krakenartige Arme schweben über dem Körper der Patientin und werden von Kawan gesteuert. „Der Roboter macht nichts alleine, sondern nur das, was man ihm sagt“, so Kawan. Der Vorteil für Patientinnen und Patienten liege darin, dass sie neben geringerer Narbenbildung im Regelfall schneller wieder fit seien und weniger Schmerzmittel benötigen, weil die Eingriffe minimal-invasiv über einzelne kleine Zugänge, sogenannte Trokare, erfolgen. Darüber steuert Kawan die eigentlichen Instrumente – eine kleine Schere und eine Art Zange, die seine Hände ersetzen und filigranstes Arbeiten inklusive Nähen ermöglichen. „Es ist ein sehr, sehr intuitives System“, sagt Kawan, aber eine entsprechende Ausbildung am Gerät sei erforderlich. Die Stelle, an der er arbeitet, wird ihm über das Okular des Bedienelementes acht- bis zehnfach vergrößert und dreidimensional angezeigt. Das OP-Team am Tisch unterstützt ihn dabei, indem beispielsweise die Leber angehoben wird, um Bewegungsfreiheit zu schaffen. Ein anderes Instrument, umgangssprachlich „Schwiegermutter“ genannt, ist ebenfalls im Einsatz, was auch in den Hörsälen für Belustigung sorgt. Dabei handelt es sich um eine sehr scharfe Pinzette beziehungsweise Klemme, die ebenfalls dafür sorgt, Strukturen beiseite zu nehmen, um die eigentlich agierenden Roboterarme zu unterstützen.

Die Operation dauert in etwa eine Stunde. Die Niere wird vorsichtig und Schicht für Schicht von umliegendem Gewebe gelöst und dann mit einem Faden, der sich nicht auflöst, weiter oben von innen an die Bauchdecke genäht. Die Fäden sorgen dafür, dass die Niere nicht mehr wandern kann.

Die Studierenden haben, auch das zeichnet die OP-Wochen aus, während der gesamten OP die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Diese werden entweder von den Fachärzten im Hörsaal, aber auch von den Operateurinnen und Operateuren direkt beantwortet. Auch bei den letzten Handgriffen der Nieren-Fixierung tauchen Fragen auf, beispielsweise, ob auch Frauen Urologinnen werden können (selbstverständlich!) oder welche Komplikationen nach der Operation auftreten könnten. „Blutungen und anfangs auch noch einige Schmerzen sind möglich“, erläutert Dr. Lindner und wirbt am Ende für sein Fach: „Es ist ein kleines chirurgisches Fach, aber man arbeitet sehr viel endoskopisch und behandelt die Patientinnen und Patienten ganzheitlich. Das finde ich an diesem Fach super!“