Schritt hin zu einer Therapiemöglichkeit für neuropsychiatrische Erkrankungen: Mit persönlicher Frequenz gezielt Hirnaktivität steuern

Nach Schlaganfällen oder bei Erkrankungen wie Aufmerksamkeitsstörungen, Parkinson oder Depressionen sind Hirnfunktionen verändert, die mit einer entsprechenden körperlichen oder psychischen Beeinträchtigung der betroffenen Personen einhergehen. Seit langem forscht man daher an Möglichkeiten, wie sich gezielt einzelne Funktionen im Gehirn beeinflussen lassen, um diese Störungen ausgleichen zu können – und zwar ohne operative Eingriffe. 

Mit der Methode der individuellen Frequenz lassen sich gezielt einzelne Hirnareale beeinflussen und damit die darin verarbeiteten Fähigkeiten – allein durch elektrische Stimulation an der Kopfhaut. Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften, zu denen auch Privatdozent Dr. Bernhard Sehm von der Universitätsmedizin Halle gehört, gelang es nun als erste, sehr präzise ein einzelnes Areal im Gehirn statt diffus weitläufiger Hirnbereich in seiner Funktionsweise zu beeinflussen. „Wir haben dazu bei 20 gesunden Probanden im Magnetresonanztomografen das Hirn gezielt mit bestimmten Frequenzen stimuliert und dann gemessen, was passiert“, erklärt Neurologe PD Dr. Bernhard Sehm, Letztautor der zugrundeliegenden Studie. Veröffentlicht wurde diese in der Fachzeitschrift „NeuroImage“ (https://doi.org/10.1016/j.neuroimage.2020.117175). 

Die Wissenschaftler hemmten für einige Minuten genau den Bereich, der den Tastsinn verarbeitet, indem sie gezielt in dessen Rhythmus eingriffen. Dadurch war das Gebiet vorübergehend weniger mit anderen Hirnregionen vernetzt, seine sogenannte funktionelle Konnektivität sank. Und damit auch der Informationsaustauch mit anderen Hirnnetzwerken. „Die gezielte Veränderung des Hirnrhythmus hielt zwar nur kurz an. Sobald die Stimulation ausgeschaltet wird, verschwindet der Effekt wieder.“ Dennoch: „Es hat sich gezeigt, dass wir somit Muster beeinflussen können und damit möglicherweise einen Ansatz gefunden haben, neuropsychiatrische Erkrankungen zu therapieren“, so Sehm. Eine gezielte Hirnstimulation könnte helfen, den Informationsfluss zu verbessern, zu lenken und, wenn nötig, abzuschwächen.

Möglich war das, indem die Forscher zuvor für jede Person den individuellen Hirnrhythmus bestimmt hatten, der auftritt, wenn man eine Berührung wahrnimmt. Mit der persönlichen Frequenz konnten sie mithilfe der sogenannten transkraniellen Wechselstromstimulation sehr gezielt allein die anvisierten Hirnareale modulieren. „Das ist ein enormer Fortschritt“, erklärt Christopher Gundlach, Erstautor der zugrundeliegenden Studie. „In früheren Studien hatte sich die Konnektivität breit verteilt in verschiedenen Hirnarealen verändert. Der Strom suchte sich ungezielt seinen eigenen Weg im Gehirn und beeinflusste dadurch recht ungenau verschiedene Hirnareale gleichzeitig.“

 In einer Vorstudie hatten die Neurowissenschaftler bereits beobachtet, dass diese Form der Stimulation nicht nur den Austausch der anvisierten Hirnnetzwerke mit anderen Netzwerken verringert. Sie wirkt sich auch auf die darin verarbeitete Fähigkeit, den Tastsinn, aus. Hemmten die Forscher das zuständige somatosensorische Netzwerk, erhöhte sich die Wahrnehmungsschwelle. Die Personen nahmen erst Reize wahr, wenn sie entsprechend stark waren. Regten sie die Region hingegen an, sank der Schwellenwert. Die Studienteilnehmer spürten bereits sehr sanfte elektrische Reize.