Internationales Konsortium mit Beteiligung der Universitätsmedizin Halle (Saale) untersucht Entstehung der seltenen Muskelerkrankung „GNE-Myopathie“

Die Abbildung zeigt die Aktivität der gesunden GNE (links) im Vergleich zur Aktivität der defekten GNE in Zellkultur.

Während der Kindheit und der Jugendzeit ist alles normal. Doch im jungen Erwachsenen-Alter setzt plötzlich der schleichende Abbau der Muskeln ein. Dieser macht nach weiteren zehn bis 20 Jahren einen Rollstuhl erforderlich und bringt eine niedrigere Lebenserwartung mit sich. Warum dies bei den Betroffenen der seltenen Erkrankung „GNE-Myopathie“ so ist, ist Forschungsgegenstand eines internationalen Konsortiums, an dem auch das Team um Prof. Dr. Rüdiger Horstkorte vom Institut für Physiologische Chemie (IPC) der Medizinischen Fakultät der Universitätsmedizin Halle (Saale) beteiligt ist. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) als nationaler Projektträger fördert diese Arbeiten innerhalb des Verbundes über drei Jahre mit rund 360.000 Euro.

Im Jahr 2000 fanden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Jerusalem (Israel) heraus, dass für die seltene Erkrankung ein genetischer Defekt eines Enzyms ursächlich ist, das bei gesunden Menschen den Zucker Sialinsäure herstellt. Dieser Zucker ist für das molekulare Skelett von Zellen essenziell und sorgt dafür, dass diese sich erkennen können. Der Defekt verursacht bei Betroffenen der GNE-Myopathie einen großen Mangel an Sialinsäure.

Die Krankheit bricht bei den Nachkommen aus, wenn beide Elternteile Träger des Gendefekts sind. „Wir wissen nicht, warum diese Krankheit erst nach dem 20. Lebensjahr auftritt und warum nur die Muskulatur betroffen ist. Im Verlauf der Erkrankung bauen sich nach und nach alle Muskeln ab. Einzig beim Oberschenkelmuskel scheint das nicht der Fall zu sein, und auch hier weiß man nicht, warum das so ist“, sagt Prof. Dr. Rüdiger Horstkorte vom IPC, der sich bereits in seiner Habilitation mit Sialinsäure beschäftigt hat und zu den wenigen Experten weltweit zählt.

Von „GNE-Myopathie“ sind etwa Fünf- bis Zehntausend Menschen weltweit, vor allem im Mittleren Osten, den USA und Japan, betroffen. Initiatorin des Verbundprojektes ist eine italienische Wissenschaftlerin, die selbst von der Krankheit betroffen ist und die zur Erforschung der Krankheit mehrere Forschergruppen aus Europa und Kanada für den EU-Projektantrag zusammengebracht hat. „Die Idee des Konsortiums ist es, die Krankheit in Zellkulturen nachzuahmen und mit Zuckern zu behandeln. Wir in Halle sind diejenigen, die am besten nachweisen können, dass der Zucker in den Strukturen auf der Oberfläche ankommt und dort macht, was er soll. Es ist geplant, dass wir ein Referenzlabor für die Erforschung der GNE-Myopathie werden. Sowas existiert noch nicht und wir wären damit weltweit das einzige“, erläutert Horstkorte.

Sialinsäure und deren Vorläufer sind günstig in großen Mengen herstellbar. Wie es in die Zellen eingebracht wird, ist ebenfalls Gegenstand des Forschungsprojektes, denn die orale Gabe des Zuckers funktioniert bei Menschen nicht gut. „Der Zucker kann zwar einfach eingenommen werden, aber es braucht große Mengen pro Tag, weil die Aufnahme in die Muskelzellen sehr schlecht ist. Wenn wir einen besseren Weg gefunden haben, der bei den Zellkulturen funktioniert, soll dieser mit Betroffenen getestet werden“, so Prof. Horstkorte. Dafür stünden schon jetzt Patientinnen und Patienten bereit, die mitmachen und sogar Muskelproben spenden würden. „Das EU-Verbundprojekt könnte eine günstige und ungefährliche Methode finden, um den Betroffenen zu helfen. Ansonsten bliebe nur die Gentherapie als Option und die ist eben nicht ungefährlich und gesellschaftlich umstritten“, so Horstkorte.